Optische Telegraphie in Preußen 1832–1852

2.1 Die Telegraphenlinie Berlin – Koblenz

Karte der Stationen

Die einzige Telegrafenlinie Preußens verband Berlin und Koblenz über Potsdam, Magdeburg, Gandersheim, Iserlohn und Köln. 1833 zunächst 61, ab 1842 dann 62 Stationen auf einer Länge von ca. 587 km (Herbarth 1978).

Die Stationen waren in 56 Funktionsgebäuden, 1 Sternwarte, 3 Kirchen und 2 Schlössern untergebracht.  Die Signale wurden optisch-mechanisch übertragen.  Der Bau der Linie wurde am 21.07.1832 angeordnet, aber bereits 1852 ging auch ihr letztes Teilstück wieder außer Betrieb. Die komplette Linie arbeitete 1833–1849, also nur 16 Jahre.  Sie wurde ausschließlich für staatliche und militärische Nachrichten genutzt. (MM)

Karte von 1835: Älteste Darstellung der preußischen Telegraphenlinie zwischen Berlin und Koblenz (Staatsbibliothek zu Berlin Kart. N 1533)

Karte von 1835: Älteste Darstellung der preußischen Telegraphenlinie zwischen Berlin und Koblenz (Staatsbibliothek zu Berlin Kart. N 1533)

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Medienkurzinformation (pdf)

Stationen und ihre Koordinaten (Wikipedia) (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stationen_des_preußischen_optischen_Telegrafen)

2.2 Orthographie

Bei direktem Bezug auf den Zeitabschnitt bis 1852 schreiben wir Telegraph, sonst Telegraf entsprechend heutiger Schreibweise; eine zweifelsfreie Unterscheidung ist jedoch nicht immer möglich.

2.3 Zur Vorgeschichte

Am kraftvollsten wurde die optische Telegraphie in Frankreich vorangetrieben.  Dort arbeitete die erste Linie, Paris – Lille, bereits 1794, also 40 Jahre vor der Linie in Preußen!  Preußen hatte zwar einerseits erstklassige Wissenschaftler und Techniker mit grandiosen Ideen und Entwicklungen, aber andererseits war die Bürokratie zuweilen eine äußerst wirkungsvolle Bremse gegen allzuviel „Neuerertum“, allzuviel Umstürzlerisches.  Einige wenige Entwicklungsschritte zeigt Tabelle 2.3 (MM)

Tabelle 2.3  Zur Vorgeschichte der optischen Telegraphie in Preußen

(nach Beyrer 1995)

Datum Ereignisse & Personen Bemerkungen
Frankreich 1791/1792 Versuche von Claude Chappe und seinen Brüdern mit Pendeluhren bleiben erfolglos  
12.07.1793 Darstellung geometrischer Figuren mit Hilfe eines Regulators (großer Arm) und zweier Indikatoren, die mit einem Fernglas gut erkennbar sind. Ein Experiment mit Hilfe seiner Brüder südöstlich von Paris über 25 km wird durch den Kriegsminister subventioniert.
27.07.1793 Ernennung von Claude Chappe zum Telegrafeningenieur mit den Bezügen eines Pionierleutnants  Die Vorbereitung einer Linie von Paris nach Lille mit 16 Stationen, und 36 Angestellten beginnt.
30.04.1794 Erste Nachrichtenübermittlung an den Konvent: „Condé sein an die Republik zurück.  Rückgabe haben stattgefunden heute morgen 6 Uhr.“ Ein Ereignis, das im Laufe des Morgens stattfindet, ist nachmittags in Paris bekannt.
Preußen Frühjahr 1794 In Karlsruhe informiert Johann Lorenz Böckmann den preußischen Militär Albrecht von Sachsen-Teschen über System und Funktionsweise des Chappe-Telegrafen.  Eine Telegrafen-Kommission wird einberufen. Böckmann und der Herzog sprechen miteinander, bevor die Öffentlichkeit Notiz von der technischen Innovation genommen hat.
01.03.1795 Franz Karl Achard führt seinen „Feldtelegrafen“ höchsten Würdenträgern des Hofes und der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften vor.  Achard will nicht den Apparat von Chappe verbessern, sondern einen transportablen Feldtelegrafen einführen. Telegramme zwischen der Zitadelle von Spandau und Schloss Bellevue finden hohe Anerkennung, doch wird der Feldtelegraf nie praxiswirksam.
Erfolgreich ist Achard dagegen mit der industriellen Gewinnung von Zucker aus Rüben: 1801 gründet er die erste Zuckerfabrik.
1819 Der Militärtopograph Oberst Carl Wilhelm von Oesfeld entwirft ein von Berlin ausgehendes strahlenförmiges Netz von Telegrafenlinien. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Potsdam-Bornstedt (KA)
1819 ff. Alle Vorstöße des Generals Karl Freiherr von Müffling (ab 1821 Chef des Generalstabs) zur Einführung von Telegrafen scheitern am Kriegsminister Karl von Hake, einem „Militärbürokraten alten Stils“. In den Schubladen von Hakes verstauben die Vorschläge.
Dez. 1829 Von Hake gibt den „transportablen Klappentelegrafen“ von von Müffling in den Instanzenweg. Auch dieser Vorschlag gerät in Vergessenheit.
1830 Eine Telegrafen-Kommissionen, der neben dem Generalstabschef von Krauseneck auch der Initiator General von Müffling angehört, prüft mehrere Entwürfe. Sämtliche Militäroberen sehen nach der Julirevolution in Belgien und Frankreich sowie den Ansprüchen Frankreichs auf das Rheinland die Notwendigkeit einer schnellen Nachrichtenverbindung zur preußischen Westgrenze („Wacht am Rhein“).
Dez. 1830 Denkschrift Karl Philipp Heinrich Pistors, Geheimer Postrat und Inhaber einer Werkstatt für optische und physikalische Geräte, „Anlegung telegraphischer Linien innerhalb der Königlichen Staaten“ und „Bedürfnis nach rascher Communication“ in Preußen mit seinen weit auseinander liegenden Gebieten.  Er erhält den Zuschlag unter mehreren Entwürfen.  
16.10.1831 Kabinettsorder Friedrich Wilhelm III. zur Bildung einer „Immediats-Commission zur Errichtung von Telegraphenlinien“ Auch die Kommission stimmt dem Vorschlag Pistors zu.

Pistor ist ein vielseitiger Erfinder, Techniker und Fabrikant.  Er baut nicht nur die gesamte Signaltechnik für die optischen Stationen, sondern auch universelle Theodoliten, die für waagerechte und Höhenablesung geeignet sind, astronomische Instrumente sowie Barometer, von denen 1840 anlässlich einer Spitzbergenexpedition in den astronomischen Nachrichten berichtet wird.  Dr. Karl Philipp Heinrich Pistor starb 1847 im 69. Lebensjahr, nachdem er einen Tag zuvor in den Ruhestand getreten war (Archiv Dt. Postgeschichte 1959, 2: 11/12).

Aus der Werkstatt von Pistor & Martins entstanden später die Askaniawerke (Galle 1926).

2.4 Die „Allerhöchste Cabinettsordre“ vom 21.07.1832

2.5 Aufstieg und Niedergang

Tabelle 2.5  Aufstieg und Niedergang der optischen Telegraphie in Preußen

(vorwiegend nach Beyrer 1995) MM & KA

Datum Ereignisse & Personen Bemerkungen
21.07.1832 Allerhöchste Kabinettsorder zum Bau einer Telegrafenverbindung von Berlin über Köln nach Koblenz
Die oberste Bauleitung wird dem Major im Großen Generalstab Franz August O´Etzel (1784–1850, 1840 Oberst, 1847 Generalmajor, 1846: von Etzel) übertragen. Der Bau des ersten Abschnitts bis Magdeburg beginnt noch im Juli.
Die Order enthält die Empfehlung, die Freigabe der Linie auch für den Privatverkehr zu prüfen, um „einen Teil der Unterhaltungskosten zu decken.“
Nov. 1832 Die Linie Berlin – Magdeburg ist [möglicherweise] fertig gestellt Tests auf der Linie Berlin – Potsdam beginnen
04.05.1833 Gesetz zum Bau der Linie  
Juni 1833 60 Stationspunkte (Berlin – Festung Ehrenbreitstein) liegen fest (O´Etzel).  
Juli 1833 Die Strecke Berlin – Magdeburg mit den Stationen 1–14 nimmt ihren Betrieb auf. Ab November 1832 Tests auf der Linie Berlin – Potsdam.
1. Oktober 1833 Die Strecke Magdeburg – Ehrenbreitstein mit den Stationen 14–60 ist fertig gestellt.

Mail AS  11.04.08

1833 Carl Friedrich Gauß (1777—1855) und Wilhelm Eduard Weber (1804—1891) betreiben in Göttingen die erste brauchbare elektromagnetische Telegrafenanlage.  
1834 Station 61 auf dem Schloss Koblenz wird eingerichtet. Der Transport der Depeschen über den Rhein von der Festung zur Militärverwaltung im Schloss Koblenz war sehr störanfällig.
1834 Die gesamte Strecke arbeitet.„Telegraphen-Expeditionen“ in Berlin und Koblenz Die Expeditionen sind für die Aufnahme und Beförderung der Depeschen zuständig.
1836 Einrichtung einer dritten Telegraphen-Expedition in Köln (Nr. 51) Verbesserung der Weiterleitung von Depeschen nach Nordwesteuropa
1837 O´Etzel verfolgt die Entwicklung des elektromagnetischen Telegrafen „mit großem Eifer“. 1938 lässt er erste Apparate zu Versuchen im Generalstab und bei einem Angehörigen des königlichen Hauses aufstellen.
1842 Zwischen den Stationen 24 und 25 wird noch die 62. Station (24a) errichtet. Ursache sind Übertragungsfehler.
24.07.1848 Allerhöchste Kabinettsorder zum Bau elektromagnetischer Telegrafenlinien Noch 1848 beginnt zwischen Berlin und Potsdam ein elektroma-gnetischer Telegraph (Zeigertelegraf) zu arbeiten.
23.03.1849 Die Telegrafendirektion geht über vom Kriegsministerium in das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten (http://hahausen-harz.com/telegrafenlinie.htm)  
10.05.1849 Der Betrieb der optischen Teillinie Köln — Berlin (Potsdam) wird in Iserlohn (Station 43) unterbrochen. Aufständische machen die Station 43 arbeitsunfähig.  Sie wird 1850 versteigert.
01.06.1849 Die elektromagnetische Teillinie Berlin – Köln geht in Betrieb.  Sie ist für den öffentlichen Verkehr freigegeben. (http://hahausen-harz.com/telegrafenlinie.htm) Personal wechselt von der optischen zur elektromagnetischen Linie.
01.09.1852 Vermutlicher Betriebsbeginn der elektromagnetischen Telegrafie bis Koblenz Quelle: Herbarth (1978)
12.10.1852 Auch die optische Teillinie Köln — Koblenz wird eingestellt. In Frankreich wird die letzte Chappe-Linie 1854 eingestellt.

2.6 Aufbau und Funktionsweise

Stationsmodell

„Pistors Telegrafenapparat lehnte an ein System des Engländers Watson an, ohne sich aber strikt an das Vorbild zu halten.  Sein verbesserter Telegraf bestand aus einem etwa 20 Fuß (6,30 m) langen Mastbaum aus Fichten- oder Tannenholz, der senkrecht über die Plattform des Stationsgebäudes hinausragte“ (Beyrer 1995).

Am Mast waren drei weithin sichtbare, bewegliche Holz-Doppelarme (Indikatoren; Balkentelegraf) angebracht, ca. 174 cm lang und ca. 33 cm breit.  Die Indikatoren waren gitterartig durchbrochen, damit sie dem Wind möglichst wenig Widerstand bieten.  Jeder der sechs Indikatoren war über ein Seil mit dem Wachzimmer verbunden.  Im Wachzimmer befanden sich sechs Seilscheiben (Indikatorrollen, Steuerungsräder) mit feststellbarem Hebel, mit dem die Indikatoren in Winkel von 45°, 90° und 135° zum Mast gestellt werden konnten.

Die von Carl Pistor entwickelte und in eigener Werkstatt (Pistor & Martins) gebaute Signaltechnik ist auf allen Stationen gleich (Arlt 2007c: 17)

Durch die unterschiedlichen Stellungen der Indikatoren konnten insgesamt 4095 verschiedene Zeichen gebildet werden.  

Der „entgegensehende Telegrafist“ („Spähtelegraphist“) beobachtete mit einem fest eingebauten Fernrohr (Vergrößerung 40- bis 60-fach, H.-J. PAECH nach Vortrag Arlt 2006) die Nachbarstationen, ungefähr 4 bis 5 Mal in der Minute, damit ihm von dort kein Signal entging. Wurde dort ein Signal eingestellt, diktierte der Beobachter dieses an den „Telegrafisten an der Steuerung“ („Kurbeltelegrafist“) weiter, der die Indikatoren dementsprechend einstellte.  Anschließend wurde kontrolliert, ob die nächste Station richtig verstanden hatte.  Jede Nachricht wurde protokolliert wodurch die Übertragungsgeschwindigkeit gemindert wurde (HJP nach Vortrag Arlt 2006).

„Die mittlere Übertragungsgeschwindigkeit betrug wohl eineinhalb Zeichen pro Minute.  Bei gutem Wetter benötigte ein Signal von Berlin nach Koblenz etwa siebeneinhalb Minuten.  Am 17.03.1848 war eine 30 Worte lange Depesche rund eineinhalb Stunden unterwegs.

Die beschränkte Übertragungskapazität – Schätzungen reichen von zwei bis zu freilich beachtlichen sechs Telegrammen pro Tag – mag ein Grund dafür gewesen sein, den Telegrafen ausschließlich der Staatskorrespondenz vorzubehalten.  Ein Antrag der Berliner Kaufmannschaft um Freigabe der Linie für die Übermittlung von Börsenkursen und Handelsnachrichten wurde durch Kabinettsorder vom 15.04.1835 abgelehnt“ (Beyrer 1995: S. 184).

Zum Uhrenvergleich der 62 Stationen wurde alle 3 Tage einmal zu einer vollen Stunde ein Zeichen durchgegeben, das man eine Art Zeitzeichen nennen könnte.  Es war die Armstellung B4, d. h. nur ein Arm war um den kleinstmöglichen Winkel (45°, aus der 180°-Position in die 135°-Position) zu schwenken.

Dieses Zeichen wurde in Berlin gegeben und lief in knapp einer Minute durch bis Koblenz.  Die Berliner Zeit galt als Einheitszeit auf der Telegraphenlinie, weil alle Stationen zu diesem Zeitpunkt mit höchster Konzentration arbeiteten!  Dies konnte man messen, da von Koblenz aus sofort die Kontrollmeldung zurück nach Berlin erfolgte.  Die Berliner Zeit diente auf der Telegraphenlinie als Einheitszeit.  Nach ihr wurden die in den Stationen genutzten Schwarzwälder Uhren mit Schlagwerk gestellt.
Bisher war die Tageszeit immer nach dem lokalen Mittagssonnenstand angegeben worden, weil beim gewöhnlichen Nachrichtenaustausch durch Boten der Zeitunterschied nicht fühlbar in Erscheinung getreten war.  Nun konnte man von Berlin bis Koblenz eine kurze Meldung in wenigen Minuten durchgeben.  Der Unterschied der lokalen Zeit (gemessen durch Sonnenuhren) beträgt von Ost nach West in diesem Fall aber etwa +26 Minuten.  Der Schnellnachrichtenverkehr erforderte aber ein gleichzeitiges Zusammenarbeiten auf der ganzen Linie, damit z. B. die einzelnen Depeschen mit einem Zeitstempel versehen werden konnten.  So kam es jetzt in Preußen zu der kulturgeschichtlichen Innovation, dass die "Berliner Zeit" als Einheitszeit auf der Linie Berlin – Koblenz eingeführt wurde (Sukkau 2010). 

Eine Depesche von 30 Worten benötigte für die Durchgabe von Berlin nach Köln ~90 Minuten.

Eine Depesche von Paris nach Berlin war etwa 30 Stunden unterwegs. Sie gelangte über den französischen Telegraphen von Paris bis Metz, von dort mit Eilstafette über Saarbrücken nach Koblenz und von dort wiederum per Telegraph nach Berlin (www.oeynhausen.com, 31.07.07).

Vermittelt wurden nur Nachrichten, die dienstlicher oder staatlicher Art waren.  Sie konnten in Berlin, Köln oder Koblenz in dem Büro der Linie aufgegeben werden, aber nur von solchen Personen oder Behörden, die das Recht dazu vom König verliehen bekommen hatten.

Die Stationen konnten nur bei gutem Wetter Nachrichten weitergeben.  Sie arbeiteten ca. 6 Stunden pro Tag.  Versuche, auch nachts mit Hilfe von Lichtzeichen zu arbeiten, waren nicht erfolgreich genug (www.oeynhausen.com, 31.07.07).

2.7 Chiffrierung und Dechiffrierung

In der Regel wurden die Nachrichten an ihrem Aufgabeort verschlüsselt und am Empfangsort wieder entschlüsselt.  Die wenigen dazu befugten Offiziere nutzten ein Code-Buch, das O´Etzel entwickelt hatte.  Insgesamt gab es davon nur 12 streng geheime Exemplare.

„In dem Wörterbuch für die Telegraphisten standen 57 Redesätze, 49 Orts- und Flussnamen, 16 Personennamen, 10 Namen und Titel, 75 Telegraphenteile und 19 Material- und Werkzeugbegriffe.  Dann folgten in alphabetischer Reihenfolge fast 1000 Wörter und 650 Silben bzw. Wortteile, 34 Zeichen für Wochentage, Monate und Uhrzeitangaben, 3 Interpunktionszeichen, 104 Zahlen, 119 Hilfsverben und noch 64 allgemeine Redesätze, insgesamt etwa 2 200 Chiffren.  Das Verschlüsseln erfolgte in Berlin, Köln [(ab 1836)] oder Koblenz, später auch bei anderen Posten“ (ArchivMichelbrink 01/2009).

„Man konnte ohne Mühe die Zahlen von 1 bis 999 signalisieren, wobei unten (Ebene A) die Hunderter, in der Mitte (Ebene B) die Zehner und oben (Ebene C) die Einer angegeben wurden.  Diese Zahlen waren keine Chiffre, sondern lediglich Zahlen, nach denen man die Einstellung der Flügel präzise festlegen konnte.  Erst alle drei Flügelpaare zusammen ergaben ein Zeichen, eine Chiffre.  Dabei konnte dieses sowohl ein einzelner Buchstabe sein oder die Bedeutung einer Vorsilbe haben, einem Wort oder Begriff entsprechen oder sogar Symbol für eine Redewendung, einen ganzen, ständig wiederkehrenden Satz sein“ (undatierter Zeitungsausschnitt aus dem Archiv Michelbrink 01/2009).  Man konnte 4095 Zeichen darstellen.

Im Jahr 1850 sind zwischen Köln und Koblenz 177 Telegramme beförfert werden (T. Wagner 22.09.08).

2.8 Organisation und Personal

Telegrafisten

Die preußische Telegrafenlinie war militärisch organisiert.  Sie unterstand dem preußischen Kriegsministerium und wurde durch den vom Generalstab eingesetzten “Königlichen Telegraphendirektor” O'Etzel kommandiert.  In seiner Zuständigkeit lagen die Personalangelegenheiten, das Beschaffungswesen und die Organisation des telegrafischen Betriebsdienstes.

Oberste Verwaltungsbehörde für die Telegrafenlinie waren zwei Oberinspektionen mit Sitz in Berlin und in Koblenz.  Der I. Oberinspektion Berlin waren die Inspektionen I bis III unterstellt, denen wiederum die Stationen 1 bis 28 unterstanden.  Den Inspektionen IV bis VII, in deren Zuständigkeit die Stationen 29 bis 61 lagen, stand die II. Oberinspektion vor. (Stationsliste)

Zum Bedienen der Telegrafenlinie wurde eine militärische Spezialeinheit geschaffen. Das Telegraphisten-Corps war der Vorläufer der heutigen Nachrichteneinheiten der Armee (Schulte 1976 in H. Willms undatiert, über M. Michelbrink 01/2009). Es war dem Großen Generalstab unterstellt und hatte eine maximale Stärke von 200 Mann.  Es rekrutierte sich vorwiegend aus altgedienten Unteroffizieren und anderen versorgungs- und anstellungsberechtigten Militärangehörigen.  Die Personalstruktur war hierarchisch gegliedert: sie bestand aus dem Königlichen Telegrafendirektor selbst sowie den Ober- und Unterbeamten.  Oberbeamte waren die Obertelegrafeninspektoren, die Telegrafeninspektoren sowie die Inspektionsassistenten.  Die auf den Stationen Dienst tuenden Ober-, Unter- und Reservetelegrafisten und die Telegrafenboten hatten den Rang von Unterbeamten.

Code für Oppermann

Durch Königliche Kabinettsorder vom 28. Oktober 1838 erhielten die Bediensteten den Status von Militärbeamten und unterlagen somit der Militärgerichtsbarkeit.  Sie bekamen entweder eine Anstellung als Beamte auf Lebenszeit oder, wie im Fall der Telegrafisten, einen Vertrag mit Kündigungsmöglichkeit.  Die guten Verdienstmöglichkeiten, ein Obertelegrafist verdiente 312 Taler, ein Untertelegrafist 212 Taler pro Jahr, und andere Vergünstigungen, wie der geringe Mietzins, machten die Anstellung bei der Telegrafenlinie attraktiv. Im Vergleich dazu verdiente ein Weber 100–120 Thaler im Jahr (Arlt, 2007c) und ein Lehrer 65 Taler (Störing 1984).

Zur Besatzung einer Telegrafenstation gehörten ein Ober- und ein Untertelegrafist sowie bedarfsweise ein Telegrafenbote.  Sie waren für den Betriebsdienst, den Telegrafierdienst (”Späh- und Kurbeldienst”), die Sicherheit der Station und für die Wartung der Telegrafenanlage verantwortlich.

Späh- und Kurbeltelegrafist waren keine Dienstbezeichnungen oder Dienstgrade, die Tätigkeiten wechselten zwischen beiden Telegrafisten laut Vorschrift, in dieser ist vom „Entgegensehen“ und der „Steuerung“ die Rede (KA).

Vor Dienstantritt wurde das Telegrafenpersonal durch Eidesleistung zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet.  Der Dienst des Telegrafenpersonals wurde durch eine dreibändige Vorschrift, die Instructionen von 1835, geregelt.  Diese Dienstvorschrift bestimmte preußisch genau sämtliche Einzelheiten des Telegrafiebetriebs.  Der erste Band enthielt ”Bestimmungen und die Kenntnis und Behandlung des Telegraphenapparates”, der Band 2 regelte das Telegrafieren selbst, Band 3 war das ”Wörterbuch für die Telegraphisten-Korrespondenz” mit Zeichen und Zeichenkombinationen und deren Bedeutungen. Hiervon gab es nur 12 Exemplare; dechiffriert wurde nur in den Stationen Berlin, Potsdam, Brandenburg, Magdeburg, Paderborn, Soest, Köln und Koblenz. (http://www.entruper.de/heimatbuch/IV-6%20Die%20Optische%20Telegraphenstation%20in%20Eentrup..pdf).

PF
Der Sitz der Inspektion Nr. 5 war in Soest. Deren Telegrafeninspektor war für die Stationen 38 (Kneblinghausen) bis 45 (Hagen-Breckerfeld) zuständig (Reg. Bez. Arnsberg).
Aus den evangelischen Kirchenbüchern der Soester Börde (Datensammlung Oltmanns) geht hervor, dass in der Zeit um 1840 Carl Wilhelm Ludwig Oppermann Telegrafeninspektor der Inspektion 5 in Soest war. Ihm unterstanden personell ein Inspektionsassistent, ein Sekretär, ein Kanzlist, ein Kanzleidiener und ein Telegrafenbote als Beamte, sowie die Telegrafisten der o.g. Stationen als jederzeit kündbare Angestellte.
Inspektor Wilhelm Oppermann wohnte in Soest, Lütgen Grandweg 3 (Stadtarchiv Soest, Häuserbuch Jg. 1840).  Ob er hier auch sein Büro hatte, konnte noch nicht ermittelt werden. Der Name "Oppermann" ist auch auf einer Seite des "geheimen Code-Buches" als Stellzeichen angegeben. Er befindet sich dabei in der illustren Gesellschaft der Herren Generalleutnant von Krauseneck, Telegrafendirektor O'Etzel, dem Vater der Telegrafenlinie Pistor, dem Garnisonsbaudirektor Wittich sowie weiterer Inspektoren.
(Sukkau 2010)

2.9 Stand der Technik

Die optische Telegrafenlinie des Königreiches Preußen stellte in der Endphase der optisch-mechanischen Telegrafie den höchsten Entwicklungsstand dieser Technik überhaupt dar (www.optische-telegrafie.de, 2.8.07).

Die 1833 von Gauß und Weber eingesetzte erste elektromagnetische Telegrafenanlage und die 1849 zur praktischen Anwendung ausgereifte elektromagnetische Telegrafie führen zum Ende der optisch-mechanischen Nachrichtenübertragung.

2.10 Originale Depesche

(Beyrer 1995: 185/186).

„Inhalte von Staatsdepeschen drangen selten an die Öffentlichkeit.  Zu den wenigen Ausnahmen zählte beispielsweise ein vor dem Hintergrund der Märzunruhen des Jahres 1848 an die Kölnische Zeitung weitergeleitetes Telegramm: Die Meldung ging am 17. März 1848 um 17 Uhr von Berlin ab, sie war vom Innenminister ausgegeben worden und traf um 18.30 Uhr beim Kölner Regierungspräsidenten ein:

„An drei Abenden zog der Pöbel in Trupps durch die Straßen.  Die Bürgerschaft wirkte beruhigend.  Seit gestern ist alles ruhig und kein Zeichen der Erneuerung vorhanden.“

Der Chronist der Kölnischen Zeitung bemerkte damals dazu: „Man hatte bisher wohl zuweilen den Telegraphen hoch auf dem Turme seine langen Arme ausstrecken sehen, doch war seine Arbeit den Leuten ein Buch mit sieben Siegeln geblieben.  So staunte man, als man das Extrablatt der Kölnischen Zeitung mit jener Depesche in Händen hielt.  Man wunderte sich, wie schnell das Ding schreiben konnte, zwar auch wie schlecht es seinen Aufsatz stilisiert hatte.

Am nächsten Tag brach in Berlin die Revolution aus.

2.11 Namen und Zuordnung der Stationen

Die Namen und die Schreibweise der Stationen sind mit Aktiven vor Ort abgesprochen bzw. sie basieren auf amtlichen Karten.  Um das Auffinden der Standorte zu erleichtern, sind die derzeitige Zugehörigkeit zu Orten und/oder Ortsteilen sowie heutige Flurnamen, Adressen oder Marken angegeben (Menning, Fuchs, Schwarz, Hendrich & Sukkau, in Vorbereitung).

stationen

Stationszuordnung in druckfähiger Auflösung (2998x1619), 2,5MB

2.12 Koordinaten, Höhen und Entfernungen

2.13 Originale, Rekonstruktionen und Neues

Einige wenige originale Gerätschaften sind erhalten geblieben, jedoch kein einziges originales Gebäude zusammen mit originalem Mast und seinen Indikatoren.  Das liegt wohl vor allem daran, dass der preußische Staat direkt nach Einstellung der Linie die Stationen und Gerätschaften verkaufte, die Gebäude zumeist mit der Auflage, sie abzureißen („Verkauf auf Abbruch“).  Der Staat wirtschaftete sparsam und zudem wollte er vermutlich in entlegenen Gebieten eine illegale Nutzung, heute würden wir sagen „Hausbesetzung“, verhindern.

Eine Übersicht über erhaltene und rekonstruierte Gebäude, Signalanlagen und Gerätschaften gibt Tabelle 2.11. Sie zeigt zudem, wo die Originale bzw. Rekonstruktionen zu finden sind, wo Hinweistafeln angebracht sind und an welchen Stationsorten rein gar nichts auf diese für Preußen bedeutende technologische Errungenschaft hinweist.

Tab. 2.13 Gebäude und Ausstattung der 62 Stationen sowie Wegweiser und Informationen heute

(Informationstafel - T,  Wegweiser - W,  unterstrichen - standardisiert)

(PF, MM & KA)

  Original Rekonstruiert, nachgebaut (Attrappe)
Gebäude mit Signalanlage und Beschilderung (T, W) (4) --- Neuwegersleben (18)* T, W
Oeynhausen (32)* T, W
Iserlohn (43)
Köln-Flittard (50)
Gebäude mit Beschilderung (7) --- Dahlem (2) T

Magdeburg (14) T, W
Ampfurth (16)
* T, W
Warbsen (28) T, W
Zündorf (52) T
Spich (53)* T, W
Söven (54)* T, W
Straßenhaus (57) T, W

Gebäude ohne Beschilderung (8) 13, 21, 44, 47, 48, 51, 56, 61
Gebäude an anderem Ort neu errichtet (z.T. stark verändert) (6)

Schladen (22)
Liebenburg (23)
Hahausen (24)
Mainzholzen (26)
Altenbeken (33)
Dahlsen (42)

Attrappe mit Mast und Indikatoren und Beschilderung (5) --- Potsdam (4) T, W
Glindow (5) T
Oschersleben (17) T, W
Vörden (30) T W
Ziegelsdorf (11)
Straßenhaus (57) T, W
Gebäude abgebrochen, mit Beschilderung (19) 4 T, W, 5 T, 8 T, 12 T, W, 15 W, 17 T, W, 20 T, W, 27 T, W, 29 T, W, 30T, W, 31 T, W, 33 T, 34 T, W, 36 T, 38 T, W, 39 T, W, 41 T, W, 55 T, 59 T, W
Gebäude abgebrochen, ohne Beschilderung (22) 1, 3, 6, 7, 9, 10, 19, 23, 24, 24a, 25, 35, 37, 40, 42, 45, 46, 49, 58, 60
Indikator(en) Museum Ummendorf
(Original von Station 16)
Museum für Kommunikation Berlin (Wiki)
Potsdam (4)
Stellapparat: Steuerungs- und Umlenkrollen Museum Ummendorf (von Nr. 16) Potsdam (4)
Neuwegersleben (18)
Flittard (50)
Fernrohr Bundespostmuseum Frankfurt a. M. (Original der Station 45 Breckerfeld, Herbarth 1978: 58) Bild je 2:
Neuwegersleben (18)
Söven (54)
Telegraphisten-Uniform --- Neuwegersleben (18): 1 Oeynhausen (32): 2 Bild
Dienstvorschrift: Instruktionen für Telegrafisten Museum für Kommunikation Frankfurt a. M. Neuwegersleben (18)

2.14 Informationstafeln, Wegweiser und Museen

PF & MM

Nr. Station Land-kreis / Stadt Informa-tions-tafel (standar-disiert)1 Weg-weiser (standar-disiert) Mu-seum   Nr. Station
Land-kreis / Stadt
Informa-tions-tafel (standar-disiert)1 Weg-weiser (standar-disiert) Mu-seum
1 B     Berlin (2)   29 HX T W  
2 B T       30 HX T W  
3 B         31 HX T W  
4 P T W     32 HX T W M Minden
5 PM T       33 2 T    
6 PM         34 PB T W Paderborn
7 BRB         35 PB      
8 BRB T       36 PB  T    
9 PM         37 PB      
10 JL         38 SO T W  
11 JL T W     39 SO T W  
12 JL T W     40 SO      
13 JL T W     41 SO T W  
14 MD T W     42 MK     Dortmund
15 BK   W     43 MK     M
16 BK T W     44 MK      
17 BK T W Ummendorf   45 EN      
18 BK T W M   46 GM      
19 HZ         47 GL      
20 HZ T W     48 GL      
21 WF T  W     49 LEV      
22 WF         50 K T    
23 GS         51 K     Köln
24 GS         52 K T    
24a NOM         53 SU T W  
25 NOM         54 SU T W M
26 HOL         55 NR T    
27 HOL T W     56 NR      
28 HOL T W  Bevern   57 NR T W  
M: Museum in der Telegrafenstation
Museen mit OT-Abteilung:
Berlin, Dortmund, Frankfurt a. M., Köln, Minden, Paderborn, Ummendorf
  58 NR      
  59 MYK T W  
  60 KO     Frankfurt
am Main
  61 KO    
    20+11 22+2 4+7

B Berlin,  Börde: seit 1.7.2007 BK (Landkreis Börde),  BRB Brandenburg a. d. Havel,  EN Ennepe Ruhr-Kreis,  GL Bergisch-Gladbach,  GM Oberbergischer Kreis (Kreisstadt Gummersbach),  GS Goslar,  HBS Halberstadt: seit 1.7.2007 HZ (Landkreis Harz),  HOL Holzminden,  HX Höxter,  JL Jerichower Land,  K Köln,  KO Koblenz,  LEV Leverkusen,  MD Magdeburg,  MK Märkischer Kreis,  MYK Mayen-Koblenz,  NOM Northeim,  NR Neuwied (Neuwied Rhein),  P Potsdam,  PB Paderborn,  PM Potsdam-Mittelmark,  SO Soest,  SU Rhein-Sieg Kreis (Kreisstadt Siegburg),  WF Wolfenbüttel

1 Standardisierte Informationstafeln und Wegweiser sind unterstrichen: T, W; für die Aufstellung einzelner dieser Schilder steht noch die Genehmigung der zuständigen Behörden aus.
2 Die ehemalige Station Nr. 33 liegt heute im Gebiet des Landkreises Höxter; demzufolge sollte als Kürzel für den Kreis HX stehen.  Doch ihr eingeführter Name ist Altenbeken, eine Gemeinde des Landkreises Paderborn (Kürzel PB).  Wir vergeben hier für die Station 33 kein Kreissymbol.  Altenbeken sollte als Name der Station erhalten bleiben, denn es gibt keine ansprechende Alternative und auch der „Gemeindewald Altenbeken“ mit der Station Nr. 33 befindet sich „auf fremdem Territorium“ im Kreis Höxter.

2.15 Tradition und Jubiläen

2.16 Anekdoten

2.16.1 Das ist uns doch egal

„Vom Inhalt des Gesendeten ist nicht viel auf die Nachwelt überkommen.  Eine Anekdote wurde jedoch überliefert: Am 31.8.1834 besuchte König Friedrich Wilhelm III. eine Station, die dies stolz an die Nachbarstation meldete: „Soeben ist Seine Majestät zur Besichtigung unserer Station eingetroffen“.  Offenbar glaubte man dort den renommierenden Kollegen nicht und telegrafierte keck zurück; „Das ist uns doch egal!““ (ArchivMichelbrink 01/2009).

2.16.2 Wunderapparate

Die Fernmeldetürme wurden von der Bevölkerung als „Wunderapparate“ viel bestaunt.  „Die Pfiffigen aber nutzten die Konjunktur, denn auf den Weihnachts- und Jahrmärkten gab es damals Fernmeldetürme aus Holz und Pfefferkuchen zu kaufen. 

Die schmucken Telegrafensoldaten nannte der Volksmund auch „Tele-Grafen““ (http://www.entruper.de/heimatbuch/IV-6%20Die%20Optische%20Telegraphenstation%20in%20Eentrup.pdf).

2.17 Wikipedia zur optischen Telegrafie

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